Zum Hauptinhalt springen
Logo cura-pflege

Im Wandel der Zeit

Und so sitzt die ehemalige Bibliothekarin heute nicht mehr zwischen den Seiten eines Buches, sondern mitten im gelebten Leben - aufmerksam, wach und mit einem Herzen voller Geschichten. Denn auch wenn die Worte auf dem Papier verblassen, bleibt der Reichtum eines lebenslangen Lesens spürbar in ihren Gedanken, ihren Gesprächen und in der Art, wie sie die Welt betrachtet.

Trügt uns das Gefühl, derzeit stärkere gesellschaftliche Umbrüche zu erleben als auch schon? Wie muss möglicherweise das Empfinden jener sein, die Jahrzehnte miterlebt, überstanden und mitgestaltet haben und nun zusehen, wie sich vieles erneut und oft atemberaubend schnell verändert?

Manchmal erzählt unser Praxisalltag die schönsten Geschichten; nicht laut sondern leise, als würden sie aus einer anderen Zeit auftauchen und uns für einen Augenblick innehalten lassen.

Gertrud, 87-jährig, von ihrem Umfeld liebevoll Trudy genannt, sitzt in ihrem Wohnzimmer, einem Raum, der mit seinen Bücherwänden, dem Duft von altem Papier und dem sanften Licht der Stehlampe wie ein Überbleibsel aus einer längst vergangenen Welt anmutet, in der man noch die Musse hatte, um wirklich zu lesen.

Die ehemalige Bibliothekarin erzählte uns im Rahmen einer Bedarfsanalyse in ihrem häuslichen Umfeld von gesundheitlichen Einschränkungen, welche ihr das Lesen zunehmend erschweren.

"Die Beine tragen mich noch ganz ordentlich", sagte sie mit einem leisen Lächeln, "aber die Augen machen nicht mehr mit."

Die altersbedingte Makuladegeneration habe ihr die Freude am Lesen ganz genommen, ausgerechnet ihr, die ihr Leben den Büchern gewidmet hat. Den Versuch, sich mit einem Tablet zu behelfen, habe sie bald wieder aufgegeben: "Das ist nicht meine Welt." Auch Hörbücher vermögen den Zauber der gedruckten Seiten für sie nicht zu ersetzen.

Ein ganzes Berufsleben lang, auch darüber hinaus, habe sie sich die Welt über die Literatur erschlossen, erzählte sie uns. Bücher waren ihr Kompass, ihre Zuflucht, ihr Fenster zur Welt.

Nun, im hohen Alter, da die Augen nicht mehr mithalten, sei es an der Zeit, sich mit dem auseinanderzusetzen was bleibt: der gelebten Welt, der Gegenwart und all dem, was sich nicht zwischen zwei Buchdeckeln findet, sondern in Gesprächen, Erinnerungen und im stillen Beobachten der kleinen Dinge.